Von Hexen und Maden

Lesezeit   18 Minuten

This is a tale from outer space. Long time ago in the age of laser, there once was a maggot crying under the light of the stars…

Made: Ich wachte auf. Es musste gegen 0z47w2 gewesen sein. Die brachiale Hitze von Jukasi3 erreicht unser winziges Höhlensystem nie ganz. Selbst wenn die unbarmherzigen Strahlen des Zentralsterns die oberen Sandschichten in ein Meer aus schwefeliger Glut verwandeln. Die Temperatur in der Wohnhöhle steigt nur um einige Zehntel Grad. Doch es war noch zu kalt, keine Zeit, um einen weiteren Tag in der Ödnis nach Iftar-Blättern zu suchen. Der Morgen konnte noch nicht angebrochen sein. Unsere Familie schläft normalerweise die ganze Nacht durch. Doch nicht in dieser Nacht. „Was ist das?“ – Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, ob die Frage wirklich meine Mandibeln verließ. Irgendwo spürte ich sie, die Vibrationen, der Geist eines Bebens, Erschütterungen irgendwo weit entfernt, hinter den Bergen, die am Horizont den Rand unseres violett-roten Himmels mit ihren Gipfeln zerreißen. Das Beben war so schwach, das es mich einige Zeit kostete, seine Existenz nicht als Schatten meiner Einbildung abzutun. Zschari zitterte unruhig im Schlaf. Kurz lenkte mich die Schönheit ihres nackten Körpers ab. Nicht in meinem 24356 Qirtasen-langen Leben hatte ich einen Körper wie diesen gesehen. Ihr Kinnlappen leuchtete selbst in der Dunkelheit in einem dreckigen Bluter-Rot. Jede einzelne Falte ihres Wurmkorpus’ weckte meine Sehnsucht nach ihr. Auch nach so langer Zeit, nach der Aufzucht von vier Würflingen, nach den schweren Qirtasen, als Schwari starb, nach der großen Dürre. Dieser Körper wird mich bis ins nächste Universum verfolgen, Schönheit, die Grenzen von Dimensionen zum Schmelzen bringt. Die Ränder meiner Kloake schwollen. Wie gerne hätte ich Zschari mit meiner klebrigen Liebe ein weiteres Mal benetzt. Doch der Augenblick verflog. Das Beben, es wurde stärker.

Verdammt, ich hätte mich einfach wieder zu ihr legen sollen, mit ihr ein letztes Mal meinen Körper in feuchter Zuneigung vereint. Ich hätte noch einmal zu den Würflingen kriechen sollen, um mich an ihren zarten Bauchlappen zu reiben. “Was ist das, verdammt nochmal?” Es dauerte nicht lange, bis ich mit meinem wurmigen Insektenkopf die Oberfläche durchbrach. Die klirrende Kälte ließ meine Mandibeln nach innen zucken. Meine klobigen Augen wanderten entlang schwarz-grüner Zacken der Gebirgskette. Über ihr zog sich das Band aus Trillionen Sternen. Kurz streifte mich die Erinnerung, als ich das Band zum ersten Mal sah, damals als Würfling, keine 40 Qirtasen aus dem Konkon gekrochen war ich. Der Anblick, er brachte mich zum Weinen, eine Decke aus Diamanten, ein pulsierendes Konstrukt weißen Lichts, als hätte der große Schöpfer sich selbst einen Umhang gewebt. Ich kam mir so bedeutungslos vor, so klein. Doch die Schönheit der Sterne war mir gleichgültig in dieser Nacht. Denn nicht der Sternenhimmel schien zu leben, sondern nur ein einzelner feuerroter Punkt. Das Licht raste von den Bergen auf uns zu. Ich ging ihm entgegen. Kalte Klauen der Furcht griffen nach meinen Halsfalten. Unsere Höhle lag nur Zentimeter unter dem Sand. Mir war nicht klar, was es war, das sich mit der Geschwindigkeit eines Grakot-Kriegers, seinen Weg durch die Wüste pflügte. Mir war nur eines klar: Es darf nicht in die Nähe meiner Familie.

Biker: Es war ein Hugrag-Abend wie jeder verdammte Hugrag-Abend. Die Tage auf Jukasi3 sind eigentlich nur dazu da, auf die scheiß Nacht zu warten. Genau das taten die Männer und ich. Wenn dann die Sonne endlich hinter den Bergen im Osten verschwindet, wenn sich diese verdammte Hitze verzieht, dann ist unsere Zeit. Viel kann man auf dieser Gott-verlassenen Kugel aus Kvarlak-Scheiße nicht tun. Wir beschränken uns eigentlich darauf, nach Sonnenuntergang mit unseren Öfen durch die Dörfer am Rand der Yakschwah-Wüste zu brettern und alles zu schänden, was mehr als zwei Körperöffnungen hat. Natürlich nur bei den Dorfbewohnern, die keine Pesitas mehr für unsere Dienstleistung aufbringen können. Leuten keine Schmerzen zuzufügen kann verdammt anstrengend sein. So ein Job muss ordentlich bezahlt werden. Wenn du das nicht einsiehst, musst du einsehen, dass das stahlharte Rohr eines Bikers durchaus kneift, wenn es trocken im Arschloch deines Mannes verschwindet. Gott, ich liebe es. Es geht nichts über das leichte Zucken, das dir durch den Schwanz fährt, wenn die Motorsäge deines Bikes anspringt und es endlich wieder durch die Wüste geht. Man kann ihn riechen, den Angstschweiß der Dorfbewohner, wenn 45 hungrige Motorräder brüllend über den vom Tag noch glühenden Sand heizen. Es war eine gute Nacht. Ich hatte gerade das Gesicht dieses Teenie-Bastards zu Brei gehauen, weil die Ernte seiner Mutter nicht reichte. Da hörte ich es. Das war keine Motorsäge, das war etwas Größeres. Ich gab dem kleinen Ficker einen Abschiedskuss mit der Kniescheibe und ging zu meinem Ofen. Die anderen hatten es auch gehört. Jack the Penetrator gab uns ein Handzeichen. Aufsteigen. Das Donnern kam aus dem Osten. Doch dort gab es nichts, nur die Berge. Ich schaute in die Gesichter der Männer. In den Augen der älteren sah ich etwas, dass ich in meinen 231 Qirtasen noch bei keinem meiner 44 Brüder gesehen hatte – Furcht.

Qarg: Seltsame Nacht, dachte sich der Qarg. Seine innere Uhr sagte ihm, dass er noch genau 98032142 Qirts Zeit hatte, um an den Iftar-Blüten zu nuckeln. Dann würde er sich wieder in seinem Kugelnest verkriechen, mit seiner Spucke das kleine Loch zu schmieren, um bis zur nächsten Nacht von süßen Blüten zu träumen. Der ganze Vorgang besteht übrigens aus vier der fünf Aktivitäten, aus denen sich ein Qarg-Leben zusammensetzt. Raus aus dem Stamm, Blüten nuckeln, wieder rein in den Stamm, Lochzuspucken. Mit der fünften, fehlenden Aktivität ist die Fortpflanzung der Qargs gemeint. Qarg-Sex glänzt durch die Abwesenheit jeglicher Aufregung. Es passiert genau einmal in 1000 Qirtasen und geht wie folgt vonstatten: Ein Qarg-Männchen tastet einmal kurz mit seinen Fühlern die Spucke am Eingangsloch des Iftar-Baums eines Weibchens ab – selbstverständlich in Abwesenheit der Dame des Hauses. Das Männchen wäre ehrlich gesagt auch lieber irgendwo, um an Blüten zu nuckeln. Sex ist eine recht unangenehme Tätigkeit in einem Qarg-Leben. Doch irgendwo schwappt durch die Qarg-Gene auch der Fortpflanzungstrieb, welcher das Männchen wiederum dazu bringt, für etwa 5000000 Qirts das Nuckeln aufzugeben. Nachdem es also kurz die Spucke mit seinen Fühlern ertastet, übergibt sich das Männchen kurze Zeit später in ein Iftar-Astloch. Fünf Nächte später klettert dann ein neuer Qarg aus dem Loch, um an den Blüten des Baumes zu nuckeln. Romantik spielt dabei keinerlei Rolle. Genauso wenig gibt es irgendeine Form von Familienleben im Nachgang des kleinen Geburten-Wunders. Ein Qarg-Leben ist ein Leben der Einsamkeit. Trotzdem haben es diese Wesen geschafft, seit über 12,3 Qirsionen auf Jukasi3 ihrem müßigen Lebenswandel nachzugehen. Romantik scheint wohl nicht die beste Strategie zu sein, wenn es um den Fortbestand einer Art geht. Während der Qarg also vor sich hin nuckelte, flammte im Osten ein Licht auf, dort bei den Bergen, wo es keine Bäume gibt. Dementsprechend konnte das Licht auch nicht viel mit weißen Blüten zu tun haben. Der einzige Anblick, der so etwas wie Sehnsucht in die Augen eines Qargs zeichnet.

Gemächlich drehte das Männchen seinen Kopf, seine Fühler tasteten gen Osten. Das Ausmaß eines Qarg-Gehirns entspricht in etwa dem des Körpers einer Wüstenmade. Die Verwunderung des Männchens hielt sich dementsprechend in Grenzen, als aus dem feurigen Ball im Osten der Kopf einer gewaltigen Cobra hervorschoss. Zähne wie Säbel, der seiden-schwarze Körper doppelt so hoch wie ein Iftar-Baum. Flammende Löcher schlug der Schwanz eines Skorpions in das Dunkel der Nacht. Ein Licht blendete für 53 Qirts die Augen des Qargs – Sternenglanz, der sich auf einem Hammer reflektierte. Die mächtige Waffe hätte Häuser von ihrem angestammten Platz fortwehen können.

Es wäre nicht bei dieser einen Irritation geblieben. Doch Qargs benötigen glücklicherweise keine Ohren zum Blüten-Nuckeln, wieder so ein Vorteil dieser Spezies. Hätte er nämlich Ohren gehabt, er wäre schreiend vom Baum gefallen. Das Kreischen einer Wüstenhexe ist vergleichbar mit der Druckwelle einer Nuklearwaffe. Ihr erster Schrei holte ganze zwölf der 45 Männer auf den Motorsägen-bespickten Motorrädern von ihren Öfen. Sie waren dabei dem Ungetüm vom Rand der Yakschwah-Wüste entgegenzuknattern. Durch die zweite Druckwelle bissen weitere sechs Biker in den Sand. Die Szene entging dem Qarg allerdings. Nachdem er festgestellt hatte, dass sich nichts, was sich dort unten im Tal abspielte auch nur im Entferntesten mit Iftar-Blüten zu tun hat, drehte er Fühler und Kopf wieder seinem Baum zu. Etwa 20 Greifarmlängen vor ihm, oben auf einem stabilen Ast, da sah er sie, die weiße Schönheit. Der Qarg hatte noch 54023142 Qirts zum Nuckeln, bevor der Tag die ersten Strahlen des Zentralsterns über die Zacken der Berge schicken würde.

Angry 45:
“Ausweicheeeeeeeen”
“Von hinten, verdammte scheiße, fahrt ihr in ihre scheiß Beine, ihr habt Motorsägen ihr Hunde, benutzt sie verdammt”
“MAGAZIN, SJAKTA, neues MAGA …”
“Friss Blei du verregtes Mistvieh, FRISS BLAEEEEEEEEEEI”
“Pass auf den Hammer auf…”
“Verdammt, wo ist Jack?”
“Dort hinten liegt sein Kopf, der Rest klebt irgendwo im Sand”
“Oh Fuuuuuuck, mein Arm, wo ist mein Arm, Aaaaaaaaah”
“Wir sind im Ar..”

Biker: In den letzten Minuten meines Lebens war ich Beobachter.  Der Gedanke “Nette Abwechslung” streifte durch meinen Kopf, als der Hexen-Hammer den Schädel von Jack the Penetrator sauber vom Rumpf des stattlichen Biker-Bosses trennte. Es fühlte sich nach etwas an, das man einen künstlerischen Moment nennen könnte. Außergewöhnlich, mutig, radikal – in einer anderen Dimension hätte bestimmt jemand über dieses Werk im Feuilleton eines arroganten Intellektuellen-Blattes geschrieben. Das Gift des Scorpion-Stachels hatte schon die Reise durch meine Venen angetreten, sonst hätte ich vermutlich ein letztes Mal gelächelt.

Jacks Körper war noch völlig aufgerichtet. Die Arterienblut-Fontäne stellte auf Jukasi3 eine grausame Verschwendung von Flüssigkeit dar. Doch ich spürte, dass sich dieser Brunnen aus Lebenssaft die Absolution seiner Sünden selbst erteilte – allein durch seine Einzigartigkeit. Außerdem konnte mir so ziemlich alles scheiß egal sein, weil sich über die Ränder meiner Hände ungefähr eineinhalb Meter Dickdarm kringelten. Der trat durch den sabbernden Schlund aus, dort wo früher mein Bauchnabel war. “Sieht aus wie ‘ne Wurst, aber hübsch wie die Sterne drauf glänzen”, das war der letzte meiner Gedanken.

Made: Oh hätte ich Beine gehabt, den wildesten aller Stürme hätte ich Eile gelehrt, auf meinem Weg zu ihr, zu ihnen, meiner Zschari, meiner Familie. Hätte ich eine Stimme gehabt, der Schmerz eines Universums läge in meinem Schrei. Stumm, kein Laut, nur Nacht und Stille und Sand und Schmerz. Gleißend, dumpf, alles zugleich. Ich wurde ausgelöscht. Eine Welle, zäh wie Teer, sie schwemmte jedes Teilchen an Licht aus meinem Körper. Hohn einer Trillionen Sterne. Keiner von ihnen wusste, wie viel Leid ein Wesen ertragen kann. Ihnen war es egal. Sie funkelten weiter in ihrer kalten Arroganz.

Nichts war übrig von dem, was meinem Leben Sinn verlieh. Ich hatte jedes Gefühl für Zeit verloren. Das letzte Korn Hoffnung war mit dem Glanz aus ihren Augen verschwunden. Dort lag er, ihr Körper, ihre Hülle. Über so lange Zeit barg dieses nun leblose Stück Wurm die Liebe meines Lebens. Totes Fleisch am Rande eines Kraters. Dort, wo sich einst mein Zuhause befand, unsere Höhle, der Ort, wo das Band einer Familie selbst der Wüstenmade Bedeutung verlieh.

Sie hatten keine Chance. Oh, wäre ich nur bei ihnen geblieben. Der Tod hätte uns in Ewigkeit vereint. Ich wollte der Gefahr begegnen, wollte sie beschützen, mutig wollte ich sein. Dumm war ich, die Wüstenmade, Staub auf dem Antlitz des Schöpfers. Allein ließ ich sie. Ich verlor das Bewusstsein als der Sturm aus Feuer über mich hinwegfegte. Einen Augenblick sah ich das Ungetüm. Hoch oben, Kopf einer Schlange, Augen aus kosmischer Glut. Dann wurde alles dunkel. Wie lange der Kampf wogte? Ich weiß es nicht. Als ich die Augen aufschlug, war die Wüste übersät von den Körpern der Männer und ihren Maschinen. Unsere Wohnhöhle lag weit entfernt. Die Schreie der Sterbenden hallten durch das Tal. Doch für einen kurzen Moment schien eine seltsame Stille jedes Geräusch in der kalten Luft zu ersticken. Aller Atem schien zu stocken. Die Quirts zogen sich, doch kaum merklich wurde die Stille abgelöst. Das Grollen war mehr Vibration als Geräusch, ein bedrohliches Crescendo aus dem Innern des Planeten. Es zog sich hoch bis in die Mägen der Überlebenden. Die Hexe, ein 200 Meter entfernter Schatten aus Obsidian und Sternenglanz, sie senkte den mächtigen Hammer. Suchend zuckte ihr Kopf in alle Himmelsrichtungen. Irgendetwas stimmte nicht. Wie war das möglich? Zeigte die Hexe … Furcht? Dem Grollen folgte ein Kreischen, dass sich tief in die Ohren allen Lebens der Yakschwah-Wüste bohrte. Die Hexe schlug wild mit ihrem Skorpionstachel um sich, sie zerfledderte die Leichen der Biker. Es schien, als hätte das Ungetüm Angst, dass sie ihm noch gefährlich werden könnten. Das Kreischen hackte ab, dreimal. Kreischen, Stille, Kreischen Stille, Kreischen Stille … Stille.

Ein Blitz durchzuckte das Tal – und die Pforten der Hölle öffneten sich. Heißes, schwarzes Feuer toste über den Wüstensand. Aus seiner Mitte entsprang ein Ross, auf dessen Rücken saß der Krieger. Ruckartig drehte die Hexe ihren Cobra-Kopf. Ihr Körper zuckte zusammen als sich die Blicke der beiden kosmischen Widersacher trafen. Mit einem heiseren Schrei warf sich die Bestie auf ihren Gegner, den Hammer hoch über ihrem Schlangen-Schädel. Ross und Reiter bewegten sich wie Schatten. Die Waffe raste auf den Kopf des Kriegers zu, doch die Hexe verfehlte ihn. Sie hatte all ihre Kraft in den Schlag gelegt. Der mächtige Hammer krachte auf den Sand. Mit der Wucht eines Meteors zermalmte der riesige Block aus Drachenglas das Zentrum meines Universums. Ich hatte nicht bemerkt, wo sich der Kampf abspielte. Doch im Bruchteil einer Sekunde wurde mir klar, welches Ziel anstelle des Kriegerkopfes getreten war. Die Stelle, an der sich das Zuhause meiner Familie befand, sie explodierte in einer kreisrunden Welle aus Sand.

Biker: Jetzt war also alles im Arsch. Ende, finito. Gott, was ein Anblick. Dort lagen sie. Die geschundenen Körper der Männer, die zur Familie für mich wurden, mit denen ich auf unseren Bikes so viele Morgen in den Sonnenaufgang ritt. Ich hatte nie wirklich eine echte Familie. Wenn eine deiner ersten Erinnerungen das Grinsen im Gesicht deines Vaters ist, wie er die Halsschlagader deiner Mutter langsam mit einem rostigen Messer durchtrennt, es rückt dein Verhältnis zur Mama-Papa-Kind-Idylle in ein recht unenthusiastisches Licht. “Wir machen Mama jetzt sauber”, hat er immer wieder gesagt. “Wir machen Mama jetzt sauber”. Er gab mir einen Tritt, als ich versuchte ihn davon abzuhalten im Iftar-Rausch meine Mutter umzubringen. 52 Qirtasen alt musste ich damals gewesen sein. Ich kann mich noch genau an ihren Blick erinnern. Sie schaffte es, sogar im Angesicht des Todes noch diesen Ausdruck in ihre Augen zu legen. Selbst als die letzten Spritzer roten Lebens aus ihrem Hals hinauspulsierten sagte ihr Blick “Alles wird gut” zu mir. Ich rannte, bis die Nacht mich verschlang, irrte durch das Dorf. Wochen vergingen, Monate. Ich lebte aus Mülleimern und stahl mir Wasser aus Häusern. Irgendwann stand ich vor einem Lehmbau. Ich wollte die Nacht auf dem Berg verbringen, da sah ich das Gebäude. In Schockwellen pulsierte Musik durch die Wände. Wild, dröhnend, als hätte jemand den Hammer der Wüstenhexe in Töne gegossen. Durch die Reihe an Motorrädern hindurch, über dem Eingang, konnte ich eine Schrift erkennen. In großen Lettern war ein Satz in den Lehm gehauen: “Once you kill with a motorbike you join this road for life”.

Made: Ich kroch so schnell ich noch nie gekrochen war, erreichte den Rand des Kraters, schob mich darüber. Ich musste sie sehen. Der Umhang des Schöpfers tauchte die Wüste, die Toten, alles in kalt-blauen Glanz. Viel war nicht mehr von ihnen übrig. Der Einschlag des Hammers hatte die Körper der Würflinge zu nassen Punkten im Sand verwandelt. Nur die Leiche von Zschari war noch als Wüstenmade zu erkennen. Der Hammer traf sie nicht direkt. Die Druckwelle musste ihre Eingeweide verflüssigt haben, der untere Teil ihres Körpers wurde abgerissen. Ihr Inneres sickerte noch langsam durch ein klaffendes Loch im Unterleib in den Sand. Es war mir schlicht unmöglich den Blick von ihr zu wenden. Ich starrte und starrte.

Hunderte Meter entfernt tobte das Duell der Bestien weiter. Die Hexe hatte keine Chance. Wie flüssiger Rauch bewegte sich der Krieger mit seinem Ross um sie herum. Schwarze Flammen zuckten auf die Hexe hernieder, als das Schwert des Kriegers ihre linke Klaue vom Arm trennte. Heiße Galle schoss wie ein Sturzbach aus dem Stumpf und brachte den Sand der Wüste zum Kochen. Das Kreischen der Hexe schien Raum und Zeit zu spalten. Die Wut in ihren Schreien wich Schmerz, wich Furcht. Ihr Hammer krachte in den Wüstenboden. Die abgetrennte Klaue krampfte sich an den Stil, als würde sie noch zum Rest des Körpers gehören. Heulend zog sich das Biest einige hundert Meter zurück. Sie war schnell, schneller als manches Auge. Doch es gab kein Entkommen. Die Faust des Kriegers umschloss den Griff des Hexenhammers, zermalmte die jetzt leblose Klaue, als ob sie nicht existierte. Die vier Vorderhufe des flammenden Rosses spiegelten den Sternenhimmel, als sich das gewaltige Tier aufbäumte. Der Krieger nahm die Verfolgung auf. Die Hexe versuchte zurück in die Berge zu fliegen. Doch mit Leichtigkeit stellte er sich ihr in den Weg. Die Hexe zischte, spuckte, änderte ihre Richtung und blieb schließlich stehen. Flucht war sinnlos, das Biest hatte es aufgegeben, wegzulaufen. Ihre Augen wurden zu Schlitzen, sie hielt den Kopf nur wenige Meter über dem Sand, wiegte ihn hin und her. Die Druckwelle des Schreis, den sie dem Krieger entgegen spie, hätte jeden einzelnen Biker dieses und der sechs angrenzenden Universen von seinem Stuhl geworfen. Der einzige Effekt auf den Krieger und sein Ross war ein kurzes Flackern der schwarzen Flammen, von denen die beiden umspielt wurden. Für einen Moment wurde so der Blick auf die beiden mächtigen geschwungenen Hörner des Kriegers frei, die nur Momente später wieder hinter den Flammen verschwanden. Der riesige Reiter stieg von seinem Pferd. Ein Schritt, zwei Schritte, drei Schritte, der Krieger beschleunigte. Kräftig stieß er sich vom Sand ab. Sein flammender Körper verdeckte kurz einen der Monde. Der Sprung musste mehr als hundert Meter hoch gewesen sein. Ein Flackern zog über den Cobra-Kopf, es war der Schatten ihres eigenen Hammers. Der Krieger schwang die Waffe hoch über seinen Hörnern. Mit aufgerissenem Maul schoss ihm der Hexenschädel in einem letzten verzweifelten Angriff entgegen.

Mit einem Zischen schoss eine weitere Druckwelle durch die gesamte Yakschwah-Wüste. Sie hatte nicht die Gewalt eines Schreis der Wüstenhexe, trotzdem warf mich die Böe einige Meter nach hinten. Zscharis nasser Körper folgte. Er landete direkt auf mir. Ich schob die Leiche meiner Partnerin von mir herunter und blickte in Richtung des Epizentrums der Druckwelle. Doch da war nichts, nur Wüstenboden unter Sternenglanz, die Bestien waren weg, nur der Tod blieb, der war überall und ich starrte und starrte.

Es verging einige Zeit, bis ich eine Veränderung in mir bemerkte. Das Vakuum in meinem Kopf schien sich aufzulösen. Die Taubheit wich einem Gefühl, einem Brodeln, tief in meinen Eingeweiden. Ich spürte die Kälte der Nacht wieder, der leichte, doch messerscharfe Wind. Ich sah erneut zu Zscharis Körper, sah zu dem Krater, der einmal unser Zuhause war, dachte an die nassen Flecken darin. Meine Kinder – zerquetscht, ohne, dass ihre Mörder auch nur deren Existenz erahnten. Ihre Leben, sie waren Füllworte in einem kosmischen Witz über eine Schlange, die sich mit dem Teufel prügelt. Was haben sie euch getan, dass ihr es denn wagt, ihr Blut so verschwenderisch in die Wüste zu gießen? Nichts haben sie getan, unschuldig waren sie. Ihr Narren, glaubt nicht, ihr wäret mehr als die Made im Sand, denkt nicht, dass nicht auch ihr der Willkür des großen Schöpfers ausgeliefert seid. Glaubt ihr das Licht der Sterne fällt sanfter auf euer Haupt als auf das der Wüstenmade? Ihr Hunde, jagen werde ich euch. Mein Herz wird keine Ruhe kennen, bis ihr blutend im Sand vor mir liegt. Mein Zorn wird euch treffen, wie der Hammer der Hexe meine Kinder getroffen hat. Ihr werdet mich nicht kommen sehen, doch ihr werdet wissen, wer euren Blick hielt, als sich euer letzter Atemzug den Weg in die Kälte der Nacht bahnte. Oh weh dir, Bestie, Zorn wird von nun an jeden meiner Schritte lenken, mein Zorn wird es sein, der euch aus euren Löchern treibt. Jeden Stein in jedem Universum werde ich umdrehen. Mein Zorn und ich, wir werden euch finden. Genießt jeden eurer Atemzüge. Sie wurden soeben gezählt. Ich werde euch lehren, was Furcht bedeutet, was Schmerz bedeutet. Ich werde über euch hinwegfegen wie der Feuersturm über trockenes Gras hinwegfegt. Abschlachten werde ich euch, zertreten wie eine räudige Schab…

Biker: Es war dieser Satz über dem Eingang der Lehmhütte. Der Satz und diese Musik, sie zogen mich in ihren Bann. Die Melodie, sie war wie eine Schlinge um mein Hirn, um mein Herz. Sie zog mich zum Eingang, zog mich hinein, in dieses Universum aus Wüstenhexen und Weltraum-Vampiren. So fand ich meine neue Familie. Und jetzt? Jetzt besteht meine Familie aus 44 blutigen Matschhaufen im Wüstensand dieser verschissenen Staubkugel.
“Verdammte Scheiße….Was zur…?”
Etwas knirschte unter meinem rechten Stiefel. Dem Knirschen folgte ein erbärmlicher Gestank, der mir durch die Stirnhöhle schoss wie Nervengas. Ich stellte mich auf ein Bein und zog die rechte Sohle näher zu meinem Gesicht, damit ich sehen konnte, was da an meinem Schuh klebt.
“Fuck” – das Wort verhallte in der Endlosigkeit der Wüste. “Was ein scheiß Tag”, dachte ich, “erst wird deine ganze Gang von einem beschissenen Schlangenvieh aufgemischt und jetzt latschst du auch noch in eine verdammte Wüstenmade.”

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